Wo Wünsche wahr werden: Zu Besuch bei Architekt Chet Callahan
By Mayer Rus from Architectural Digest
Spielplatz, Kunstsammlung, Gartenparadies: Für seine Familie schuf Chet Callahan einZuhause mit vielen Gesichtern und Geschichten.
Festigkeit, Nützlichkeit und Wonne–so benannte Leon Battista Alberti in Anlehnung an Vitruv die Prinzipien guter Architektur. Dass die good vibes an dritter Stelle stehen, liegtvielleicht daran, dass die ersten beiden Prinzipien als unerlässliche Voraussetzungenangesehen werden; vielleicht aber erhält das Vergnügen auch einfach nicht immer denRespekt, den es verdient. Im Zuhause des Architekten Chet Callahan kommt es aufjeden Fall nicht zu kurz. Denn dort meint man die Freude mit Händen zu greifen, dievon der architektonisch einfallsreichen Restaurierung des historischen Hauses ausgeht, dem gewagt die Jahrzehnte überspannenden Interieur, der Kunstsammlung und diesemgrandiosen Garten.
Die Villa, bekannt als Cummings Estate und erbaut irgendwann zwischen 1895 und1905–genaue historische Unterlagen fehlen–, gilt als das älteste Wohnhaus imViertel Los Feliz. Dieser Teil von Los Angeles war damals noch der Wilde Westen. Zwischenden Obstplantagen stand nur dieses eine beeindruckende Gebäude, sonst nichts“, sagt Callahan. Er bewohnt das Haus mit seinem Mann, dem Investor Jacinto Hernandez, und den beiden Söhnen Hernan und Noe. „Der Baustil ist mehr oder weniger Arts andCrafts, mit Anleihen bei der spanischen Kolonialarchitektur und anderen Stilen. Es ist keine authentische Wiedergabe eines ganz bestimmten Vokabulars“, erläutert derArchitekt.
„Ich hatte schon das Gefühl, dass dieses Haus eine gewisse Grandezza hat, die es zurespektieren galt. Ich wollte seine Historie würdigen, aber nicht nachahmen“
Chet Callahan
In den über 100 Jahren, seit Wilbur Cummings, ein Geschäftsmann undImmobilienentwickler aus L. A., das Anwesen errichtet hatte, war an Haus undGrundstück kaum etwas verändert worden. Positiv daran: Die meistenarchitektonischen Details und Holzarbeiten waren erhalten, wenn auchrenovierungsbedürftig–ein Glück für die Interiordesignerin Ghislaine Viñas. Und dazuwies das Grundstück einen reichen Baumbestand auf: stattliche Eukalypten, Pinien,Palmen, Maulbeer-und Olivenbäume–ein Jackpot für die Landschaftsgestalterin JudyKameon. Allerdings: Der Bau brauchte dringend ein ordentliches Fundament–er standauf einer mittlerweile erodierten Basis aus Steinen, die man einfach auf demUntergrund aufgeschichtet hatte–, dazu erhebliche Verstärkung der tragendenBauteile, komplett neue Leitungen und Haustechnik, einen Austausch derunansehnlichen Aluminiumfenster aus den 1970er-Jahren und der verschnörkeltenSchmiedeeisen-Geländer, und last, not least die Neugestaltung, ja Neuerfindung vonKüche und Bädern.
„Ich hatte schon das Gefühl, dass dieses Haus eine gewisse Grandezza hat, die es zurespektieren galt. Ich wollte seine Historie würdigen, aber nicht nachahmen“, schildertCallahan das Dilemma zwischen Bewahren und Erneuern. „Aber manche derEntscheidungen, die vor 120 Jahren getroffen wurden, waren ehr-licherweise aucheinfach ästhetisch nicht so überzeugend, dass sie für die Zukunft bewahrt werdenmüssten.“ Der dramatischste Eingriff des Architekten ist ein schicker modernistischerAnbau, den er rückwärtig anfügte. Der zweistöckige Zusatz besteht im Wesentlichenaus einer großvolumigen Glasbox, gefasst in Terrazzo. Oben beherbergt er dielichtdurchflutete Küche, die sich zu einer Terrasse hin öffnet, einen Stock tiefer ein Gymund den Carport. „Mir war es wichtig, den modernen und den historischen Teil klarvoneinander unterscheidbar zu machen“, erklärt Callahan den bewussten Stil-Clash.Diese Prämisse bestimmte auch das Design der geschwungenen Treppe vom erstenStock ins Dachgeschoss, das zu Callahans Büro umgebaut wurde.„Die neue Treppe istmonolithisch, skulptural–als Kontrast zum handgeschnitzten Holzgeländer der Treppe,die nach unten führt“, erklärt er.
Callahan und Ghislaine Viñas, die in New York ansässig ist und mit der Familie bereitsbei ihrem vorigen Haus zusammengearbeitet hat, gaben dem Wohnzimmer eine hellereStimmung, indem sie die dunkle Holzverkleidung abschleifen und mit einem klarenFinish versiegeln ließen. „Der Raum strahlt einen gewissen Seventies-Glam aus“, findetViñas. „Für Chad und Jase sollte es auf jeden Fall ein Sofa von de Sede sein. Dazuhaben wir Rietveld-Sessel gestellt–bezogen mit einem grafischen Stoff von Dimore,um den Klassikern einen zeitgemäßen Dreh zu geben. Jeder Raum in diesem Hauserzählt eine Geschichte, und in diesen Geschichten gibt es Rollen, die sich gegenseitigausspielen könnten. Deshalb mussten wir uns immer wieder fragen, wie die individuellen Räume in Verbindung zur übergreifenden Geschichte des Hauses stehen.“Viñas übertrug den narrativen Ansatz auf die Einrichtungund entwarf den Teppich imWohnzimmer als eine Abstraktion des monumentalen Stabiles von Alexander Caldervor dem Gebäude der Bank of Amerika in Los Angeles, wo Hernandez lange Zeitarbeitete. In den Teppich im Eingangsfoyer wurde nach dem gleichen Prinzipdasarchitektonische Profil des Hauses als zarte Skizze eingearbeitet. Im Esszimmer, in dasman gleich vom Entree aus gelangt, ließen Viñas und Callahan erneut die dunklenHolzpaneele abschleifen. Sie wurden dort in einem blassrosa Farbton lasiert, was demRaum etwas Verwunschenes gibt.
„Die Einrichtung sollte sehr spielerisch sein und richtig gute Laune machen, das habeich mir besonders für die Jungs gewünscht“, erklärt Callahan. Durchs ganze Haus ziehtsich jetzt ein Netz aus geheimen Tunnels und Spielflächen–das Reich von Hernan undNoe. Ganz oben im halbkreisförmigen Bibliotheksturm zum Beispiel können die Kinderdurch ein internes Fenster kriechen und sich in das Netz fallen lassen, das über demweiß lackierten Stutzflügel hängt. („Chads und JasesLiberace-Moment“ nennt Viñas diebühnenhafte Raumsituation.) Wie sehr die Söhne das Design des Hauses beeinflussthaben, zeigt sich auch in der Kunstsammlung. Deren Fokus liegt auf Werken vonAfroamerikanern–darunter Kehinde Wiley, Mickalene Thomas, Derrick Adams, WoodyDe Othello, Paul Anthony Smith oder Elliott Jerome Brown Jr.–und von schwulen undindigenen Künstlern. „Wir wollten, dass unsere Jungs mit Bildern aufwachsen, in denensie sich selbst sehen können. Die meisten der Werke kreisen um Fragender Identität.Es geht um unterschiedliche Menschen und darum, wie einzigartig jeder von ihnen dieWelt erlebt“, sagt Callahan.
Natürlich können die beiden Jungen, wenn ihnen mal nicht nach Kunst oderHerumklettern zumute ist, auch hinaus in das grüne Wunderland, das das Haus umgibt.„Die Landschaft soll Entdeckungen ermöglichen“, sagt Judy Kameon, Mitgründerin undPrincipal von Elysian Landscapes in L. A. „Daher haben wir sie als eine Reihe vonseparaten Erfahrungsräumen geplant, jeden mit seiner eigenen Farbpalette undÜberraschungen.“ Die zeremoniell wirkende Eingangszone, inspiriert vom blauenGarten des Botanischen Parks Lotusland nahe Santa Barbara, führt auf eine kleinePlaza für Partys direkt vor dem Haus. Von dort mäandern Pfade zum Swimmingpool, zueinem turniergerechten Volleyballfeld, einem Spa-Becken und einer Feuerstelle, zurOutdoorküche mit Essbereich sowie zum Basketballkorb beim Carport.
„Während des Lockdowns haben wir gefühlt jede Ecke des Hauses und desGrundstücks genutzt. Ich glaube, Jase und ich haben viele verschiedene Seiten–verspielt, akkurat, aktiv, professionell, gemütlich, lustig, ernsthaft–, und dieses Hausgeht auf sie alle ein“, sagt Callahan. „Letzten Endes wollte ich ein Stück lebendig Architektur schaffen–einen Ort, der darauf abgestimmt ist, wie wir zusammen lebenund dass wir uns wünschen, unsere Zeit mit anderen zu teilen. Das ist es doch, wasZuhause bedeutet!“